[Kurzgeschichte] Darkest Hour
14:38:00
Das hier war ebenfalls für einen Wettbewerb. Unter die besten 10 hatte ich es zwar nicht geschaft, aber ich zeig sie euch trotzdem mal.
Kennt
ihr das Gefühlt einfach renne zu müssen? Egal wohin, einfach nur
weg? Blindlings durch die Gegend zu taumeln, immer weiter und weiter?
Ich will nicht darüber nachdenken, warum ich überhaupt renne. Ich
könnte es nicht einmal mehr, kann keinen klaren Gedanken fassen.
Jede Faser meines Körpers schreit vor Schmerz und weigert sich
weiter zu machen. Meine Lunge brennt wie Feuer und verlangt eine
Pause, Zeit zum Atmen. Mein Kopf dröhnt vor lauter Anstrengung. Ich
fühle meinen Herzschlag in meinen Ohren pochen. Laut und
eindringlich, als wollte er mich warnen. Aber ich kann nicht stehen
bleiben. Feuchtes Laub dämpft jeden meiner Schritte.
Solange
ich renne, lassen sie mich in Ruhe. Die Bilder, die Erinnerungen. Der
Schmerz übertönt alles und jeden, erfüllt mein Bewusstsein. Dort
ist kein Platz mehr für Trauer, kein Platz mehr für Angst oder für
falsche Gedanken. Ich kann nicht mehr aufhören. Würde ich es tun,
dann würde ich fallen und ich habe Angst nie wieder aufstehen zu
können. Ich zwinge mich noch schneller zu werden und hetze im Slalom
an den gigantischen Bäumen vorbei. Nur selten reicht ein Lichtstrahl
bis an den Grund des Waldes, so dicht ist das Blätterdach über
mir. Ich bin froh darüber. Ich hätte Sonne nicht ertragen, vor
allem nicht heute. Zu fröhlich, zu grell. Tränen verschleiern meine
Sicht und rollen über meine Wangen. Wütend wische ich sie weg. Ich
bin kein kleines Kind mehr.
Nur
Kinder weinen. Meine Finger verkrampfen sich, als ich das rosa Band
an meinem Handgelenk sehe. An den Händen die voller Blut sind. Ich
wende den Blick ab und treibe mich weiter an. Die Tränen wollen sich
einfach nicht zurück halten lassen. Ich beiße mir auf die Lippen um
ein Schluchzen zu unterdrücken. Oh Amy! Ich weigere mich an
sie zu denken, aber mein Kopf spielt mein Spiel nicht länger mit.
Meine Beine geben nach und ich breche zusammen, schlage hart auf dem
Boden auf. Ich bemerke den Schmerz nicht einmal mehr, weine so
heftig, dass ich vergesse wie man atmet. Ich habe keine Kraft mehr zu
kämpfen.
Wir
hätten nie damit gerechnet, dass sie kommen würden. Sie hatten den
Wald noch nie betreten. Noch nie in all den Jahren. Das hier war
unser Territorium, unsere Heimat. Wir fühlten uns so sicher, so
stark. Wie dumm wir doch gewesen waren! Wie hatten versucht sie zu
vergessen und aus unserem Leben zu verdrängen, dabei hätten wir
wissen müssen, dass sie wieder kommen.
Ich
war nicht da, als sie unser Dorf überfielen. War an einem See in der
Nähe und versuchte im feuchten Sand zu schreiben. Die Schreie
drangen aus weiter Ferne zu mir.
Ich
war aufgesprungen und gerannt, das erste mal an diesem Tag und so
schnell mich meine Füße trugen. Je näher ich den Holzhütten kam,
desto offensichtlicher wurde es. Dieser Gestank, süßlich und
schwer, wie verrottendes Fleisch. Meine Lippen begannen zu zittern
und eine eiserne Hand legte sich um mein Herz und drückte langsam
zu. Mit zitternden Fingern zog ich mein Messer aus seinem Halfter und
umschloss panisch den kalten Griff. Kopflos stürzte ich auf den
Platz.
Mein
Herzschlag setzte aus und das Messer landete mit einem dumpfen Schlag
im Staub.
Der
Gestank war unerträglich und raubte mir den Atem. Überall an den
Wänden klebte Blut. Blutige Handabdrücke, von blutigen Händen,
toter Menschen, die jetzt nur noch ausdruckslos in den Himmel
starrten. Ich war zu spät gekommen. Ich rief nach meiner Schwester,
nach irgendjemandem, aber niemand antwortete. Panisch stürmte ich
auf unsere Hütte zu. Die Tür war aus den Angeln gerissen worden und
lag zerborsten neben dem Haus. „Amy!“ Hysterisch hechtete ich in
den kleinen Raum und blieb wie erstarrt im Türrahmen stehen. Sie lag
am Boden, ihre langen braunen Haare blutverschmiert und wirr neben
ihrem Kopf. Ein leises Stöhnen kam über ihre Lippen, gefolgt von
einem Schwall Blut, das ihr unaufhaltsam die Kehle entlang lief. Ihre
Augen waren weit aufgerissen und starrten mich ängstlich an. Ihre
Lippen bebten, bläulich, fast violett.
Ihr
braunes Kleid war am Bauch zerrissen und rot gefärbt. Ich ging
neben ihr in die Knie und griff nach ihrer kalten Hand. Sie umschloss
meine Finger und drückte sie leicht. Eine rosa Band war um ihr
Handgelenk geschlungen. Es gehörte einst unserer Mutter. Sie legte
es nie ab. Niemals.
„Alles
wird gut, dass verspreche ich dir!“, hauchte sie. Ihre Stimme war
kaum zu hören, nicht mehr als Wind. Gequält hob sie ihren Arm und
zog leicht an der Schleife. Der dünne Satin-stoff rutschte über
ihre Haut und landete auf den Holzdielen neben ihr. Sie schloss
flatternd die Augen. „Ich liebe dich Livi.“ Wieder der Wind.
Schluchzen schüttelte mich und ich vergrub mein Gesicht in ihrer
Brust. Auch wenn ihre Augen geschlossen waren, ich wusste, dass sie
ins Leere starrten. Ich war endgültig alleine. Sie hatten mir erst
meine Eltern genommen und jetzt auch noch Amy. Ich griff nach dem
Band und stürmte aus der Hütte.
Ich
ertrug das hier nicht mehr. All das Blut, all der Gestank. Ich wollte
nur noch vergessen.
Das Moos kitzelt an meiner Wange.
Stöhnend stütze ich mich an einem Baumstamm ab und ziehe mich hoch.
Meine Muskeln schmerzen fürchterlich. Die Sonne ist bereits hinterm
Horizont verschwunden und hinterlässt nichts als Dunkelheit. Mir ist
kalt. Meine Kleidung ist klamm und ich lag zu lange auf der Erde. Wie
lange? Wen interessiert schon Zeit. Ich zwinge mich weiter zu gehen,
wenigstens zu laufen. Irgendwo hier müsste noch eine Siedlung
liegen, die einzige in einem Radius von über 200 km. Seit dem
Ausbruch der Seuche 2034 sind die wenigen Überlebenden in die Wälder
geflüchtet. Schuld daran war eine Gruppe Wissenschaftler. Sie
wollten die Welt verändern, gingen immer weiter und weiter.
Gentechnik lag an der Tagesordnung. Sie entwickelten ein Medikament,
dass in die DNS der Menschen eingreifen sollte. Das Ziel war
Perfektion. Perfekte Schönheit, perfekte Stärke, perfekte
Intelligenz. Das Ergebnis war ein Fluch.
Schon der erste Testlauf besiegelte
unser Schicksal. Der arme Mann veränderte sich tatsächlich, aber
nicht zum besseren. Er verwandelte sich in Monster, dessen Speichel
und Blut hoch ansteckend war und jeden infizierte der ihm zu nahe
kam.
Als sie seine Leiche in der Themse
verschwinden ließen, war ihnen diese Erkenntnis leider noch nicht
gekommen. Erst als die ersten Angriffe auf Passanten öffentlich
wurden, dämmerte es ihnen langsam. In London fing es an und
überschwemmte schließlich die ganze Welt.
Es brauchte Fünf Jahre um 87 % der
Menschheit auszulöschen, oder zu den ihren zu machen.
Sie waren zu intelligent, zu stark,
um bekämpft zu werden. Genau wie sie es geplant hatten.
Drei Tage lang laufe ich, bis ich
die Giebel der Häuser endlich erblicke. Es ist unbeschreiblich
still. Nur das Zwitschern einiger Vögel begleitet mich. Je näher
ich dem fremden Lager komme, desto schlechter wird mir. Eine
furchtbare Vorahnung beschleicht mich und lässt mich nicht mehr los.
Dann rieche ich es. Wieder dieser Gestank. Ich hätte umdrehen und
weglaufen können, aber irgendetwas hält mich davon ab, zieht mich
ununterbrochen weiter. Als ich an den ersten Häusern vorbei laufe,
starre ich unentwegt gerade aus. Ich will das Blut nicht sehen,
ertrage keine Toten mehr. Was tue ich eigentlich hier? Will ich mich
selbst bestrafen? Ich versuche nicht hin zu sehen, aber das ist so
unglaublich schwer, wenn man der einzig atmende Mensch auf diesem
Planeten zu sein scheint. Glasknirschen, als würde jemand über
Scherben laufen. Keuchend fahre ich herum, das Messer drohend in
meiner Hand. Wie gelähmt lasse ich den Arm sinken. Vor mir steht ein
Mädchen. Sie ist jünger als ich, vielleicht Vierzehn. Ihre blauen
Augen sind verheult und ihre langen dunkelblonden Haare stehen wirr
in alle Richtungen ab. Sie wirkt so allein. Genau wie ich. Wortlos
lasse ich meine Waffe verschwinden und beobachte sie abwartend.
Ihr Name ist Selene. Der Rest ist
offensichtlich. Die Familie tot, sie, die letzte Überlebende ihres
Clans. Wir reden. Über alles. Ich bin so glücklich nicht mehr
alleine zu sein, dass ich gar nicht merke wie der Gestank wieder
stärker wirkt. Irgendwann lässt es sich kaum noch leugnen. Ein
Rasseln lässt uns aufschrecken.
Ein tiefes und kehliges Grollen. Wir
fahren herum und da steht er. Sein Gesicht ist kaum zu erkennen.
Handtellergroße Hautlappen schälten sich von seinem Schädel, an
manchen Stellen fast schwarz, an anderen grün. Seine Schädeldecke
blitzt weiß hervor. Seine Kleidung ist alt und zerfetzt und er
riecht wie eine verwesende Leiche. Eigentlich sieht er auch genauso
aus. Ich hatte nie behauptet, dass ihnen auch der Punkt: „perfekte
Schönheit“, gelungen war, oder?
Verzweifelt schreit er auf und
stürzt auf uns zu. Alles geht zu schnell für mich. Ich kann es kaum
erfassen. Seine Pranke trifft Selene an der Schulter und wirft sie
hart zu Boden. Reflexartig greife ich nach meinem Messer und steche
blind zu. Die Klinge trifft auf Widerstand und das Messer entgleitet
mir. Schreiend ducke ich mich und schlage die Arme über dem Kopf
zusammen.
Der Schlag bleibt aus. Ein lautes
Krachen. Blinzeln sehe ich auf. Der Mann liegt zwischen den Trümmern
eines Holztisches. Zitternd laufe ich darauf zu. Mein Magen
rebelliert und heiße Galle kriecht mein Speiseröhre hinauf. Das
Messer steckt in seinem Auge.
Er hat Selene getroffen. Eine tiefe
Schramme zieht sich über ihr Schlüsselbein und ihren Brustkorb. Ich
muss schlucken. Die Wunde wird sie nicht töten. Flehend sieht sie
mich an. Ihr Blick wandert hektisch zwischen dem toten Mutanten und
mir. Das kann sie nicht von mir verlangen. Mit Tränen in den Augen
schüttle ich den Kopf. Sie zwingt sich zu einem Lächeln und nickt
aufmunternd. Ihre Augen lächeln nicht mit. „Ich kann das nicht“,
flüstere ich und versuche nicht die Fassung zu verlieren. „Du
musst!“, haucht sie. Ich binde ihr zitternd das rosa Band um ihr
dünnes Handgelenk und presse ihr einen zaghaften Kuss auf die
tränenfeuchte Wange. Dann stehe ich auf und hole das Messer. Sie hat
recht. Ich muss.
Wieder renne ich. Von der Klinge
meines Messers, tropft Selens Blut.
Ich würde mich über eure Meinung freuen,
Liebe Grüße,
Franzi
3 Kommentare
was mir aufgefallen ist, ist, dass du geschrieben ist , dass sie die DNA verändert haben und als nächstes, dass der Speichel und das Blut ansteckend sind, also die "Krankheit" übertragen. Da gibt es einen Fehler, nur Bakterien und Viren sind ansteckend, wenn die DNA einmal verändert ist, kann sie nicht so einfach eine andere DNA verändern(sonst würde das ja ständig passieren;)) Bakterien können DNA austauschen in dem es bestimmte Sequenz, die schneidet und dann auch die neue sequenz passend in die andere DNA einsetzt. Dies funktioniert aber auch nicht soeinfach....
AntwortenLöschenalso das ist jetzt nur ein kleiner biologischer Fehler :)
sonst ist es eigentlich ganz gut ;)
glg
Oh man da hab ich wohl in Bio nicht so gut aufgepasst :D Danke für den Hinweis!
LöschenLiebe Grüße
Franzi
bei sowas helfe ich doch gerne, und ich muss das wissen, war der Stoff meienr mündlichen Abiprüfung und ich werde hofentlich Bio studieren :D also bei solchen Fragen stehe ich dir gerne immer zur Seite
LöschenIch freue mich immer über Kommentare, egal ob Lob oder konstruktive Kritik, Fragen oder Tipps oder andere Anmerkungen. Durch das Abschicken eines Kommentars erklärt ihr euch mit den Datenschutzvereinbarungen einverstanden.